Stadtbewußtsein

Positives Bonnbild: Auf der Mauer und im Kopf

GESCHICHTE. Als die Zeitschrift GEO vor einem Vierteljahrhundert ein „Bonn-Special“ herausbringen wollte (ja, so hieß das damals schon), wurde die Hauptstadtszene von allen Seiten beleuchtet. Nur für einen Artikel über die Stadt neben dem Regierungssitz, also Bonn selber, fand sich unter den hunderten von Journalisten, die hier akkreditiert waren, offenbar niemand. Über Bonn wollte (oder konnte) niemand etwas berichten, geschweige denn etws Positives. Diese klaffende Wissens- und Bewußtseinslücke war der Beginn meiner publizistischen Karriere.

Selbst-Bewußtsein

Banane oder Beethoven? Stadtbewußtsein gesucht

Ich war nämlich schon damals chronisch an meiner Umgebung interessiert, hatte gerade ein paar Artikel in der Schnüss und ein Buch geschrieben (Benzin- geschichte), war also exotisch genug, um den Ansprüchen der weltstädtischen Hamburger Redakteure zu genügen. Ich behaupte: Was eine Stadt ist, hängst entscheidend davon ab, was über sie gedacht wird. Und natürlich in erster Linie, was ihre Bewohner über sich selbst denken, also von ihrem Selbstbewußtsein. Es gab Zeiten in diesem Land, da fiel das Wort Bewußtsein mindestens in jedem dritten Satz. Nun ist es weitgehend aus unserem aktiven Wortschaft verschwunden. Aber mir fällt nichts Besseres ein. Vielleicht ja auch deshalb, weil ich aus jenen erwähnten Zeiten komme, als ständig diskutiert, hinterfragt und das Bewußtsein angemahnt wurde – eine sicherlich anstrengende, aber nicht selten auch tatsächlich erhellende Freizeitbetätigung, die irgendwie völlig aus der Mode gekommen ist. Deshalb behaupte ich auch: Woran es dieser Stadt mangelt, ist Selbstbewußtsein, Stadtbewußtsein, Bonnbewußtsein. Mit Selbstbewußtsein ist natürlich keineswegs Überheblichkeit gemeint, sondern, gerade im Gegenteil: die Fähigkeit zu Selbstreflexion und einem realistischen  Selbstbild. Und diese Fähigkeit ist in Bonn chronisch unterentwickelt – aus historischen Gründen.

Das Anhängsel-Syndrom

Anhängsel der Regierung: Postkarte mit Abgeordnetenhochhaus (um 1970)

Die Stadt war über Jahrhunderte hinweg nur ein Anhängsel, dessen Identität von denen geprägt wurde, denen sie untergeordnet war: vom großen Nachbarn Köln, vom Kurfürsten, von der Universität und den steinreichen Rentiers, dann ein halbes Jahrhundert von der Bundesregierung (noch heute nennt man sich halbherzig „Bundesstadt“) und nun von jenen sogenannten „DAX-Konzernen“, die hier zufällig ihren Standort haben, die in den größten Gebäuden der Stadt residieren, teure Kreisverkehre bauen lassen und längst auch bestimmen, was in den Modehäusern auf den Kleiderbügeln hängt.

Was am Rhein im Laufe der Geschichte nicht so alles angeschwemmt wird (ich selbst war auch dabei)

Man denke nur an die Hektik, als der letzte Identitätsstifter, die Regierung, von heute auf morgen die Scheidung einreichte und völlig unsentimental seine Koffer packte. Besann man sich da etwa auf seine hervorragende geografische Lage im Herzen Westeuropas? Nein, „Beethoven-Stadt“ wollte man sein, denn der sei, so wird das Stadtmarketing nicht müde zu betonen, eine weltbekannte „Marke“. Den „Beethoven-Contest“ und anderen linguistischen Unsinn muss der Ärmste, der seine Erfolge ja bekanntlich woanders feierte,  gottseidank nicht mehr über sich ergehen lassen. Aber die Bewohner dieser Stadt, die angeblich nichts mehr brauchen als ein gigantisches „Beethoven-Festspielhaus“, eine Art postmodernes Bayreuth im Stile internationaler Imponierachitektur, müssen das schon. Gegen den gleich großzügig mitgeplanten Abriss der historischen Beethovenhalle, der einem Teilabriss des historischen Stadtbewußtseins gleichgekommen wäre, haben sich viele gewehrt – ein kleines „Bonn 21“. Und der Beginn eines neuen Bonnbewußtseins?    bp

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