„Schandfleck“ weggeputzt!

Kleinstarchitektur der 50er-Jahre: Gebogene Scheiben an einem Ex-Tankstellenkiosk

TANKSTELLE. Heute hatte ich eines dieser Déjà-vus, die ja meistens überraschend sind. Aber damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Ja früher, da wurde in jeder zweiten Ausgabe des Generalanzeigers über irgendeinen „Schandfleck“ gewettert, der in Bonn dem Stadtbild Schande macht. Irgendein leerstehendes Haus oder ein unbebautes Grundstück vielleicht, das noch nicht zubetoniert war und auf dem sich vielleicht sogar Grashalme gruppenweise erdreisteten, an nicht dafür vorgesehenen Stellen zu sprießen. „Schandfleck!“ Weg damit!

Lange habe ich diese Beifall erheischende Biertischterminologie nicht mehr gelesen und dachte schon, sie sei unbemerkt verschieden, samt der dahinter steckenden Spießermentalität, die einfach nichts Unaufgeräumtes ertragen kann. Und nun das: „Das Ende eines Schandflecks“, steht da auf Seite 16 unten in altdeutschem Sprachduktus. Die Moralkeule der Saubermänner ist also doch noch in Betrieb. Fehlt nur noch das Ausrufezeichen, das man aber sowieso mit liest. Es geht übrigens um eine seit langem stillgelegte Tankstelle in Beuel (an der B 56 nach Siegburg), wie sie einmal zu tausenden an bundesdeutschen Straßenrändern standen, entweder leer oder umgenutzt. Laut GA war sie „arg verwahrlost“. Da können wir ja nur heilfroh sein, dass sie endlich weg ist.

Noch erkennbar auf dem dazugehörigen Foto: Es war ein Eckgebäude mit modernem Flachdach – wahrscheinlich Baujahr um 1960 – , über dem gerade drohend der Arm des Baggers kreist. Ein halbrunder, vorspringender Verkaufsraum und die entsprechende Fensterfront, die gute Sicht bot und auch gut aussah mit ihrem halben dutzend gebogener (!) Fensterscheiben. Nach so etwas muss man lange suchen und es ist heute fast unbezahlbar. Offene innerstädtische Flächen unter freiem Himmel, die nicht bis zum letzten Quadratmillimeter genutzt sind, übrigens auch. Da kann man einfach mal so rumstehen und ein Pläuschchen halten. Aber wer macht das heute noch? Der Tankwart, der mal dafür zuständig war, ist auch schon lange in Pension.

Offener Raum: So schön können Tankstellen sein, Fotos Bernd Polster

Solcheine Vorstadttankstelle ist schon ein merkwürdiges Ding. Vielleicht hätte hier, wie anderswo oft geschehen, in solchein zwar nicht wertvolles, aber ungewöhnliches Gebäude ein anderes Geschäft einziehen können,  ein Restaurant, ein Fahrradladen oder eine Galerie vielleicht. Solcheine ehemalige Tankstelle ist ja nicht nur auffällig, sondern bietet auch gute Vorfahr- und Parkmöglichkeiten. Und sie kann, fantasievoll renoviert, Flair entwickeln. Auf jeden Fall ein lebendiger Ort. Nun ist der „Schandfleck“ ein für allemal weggeputzt. Bald wird hier ein Wohnblock errichtet. Nun, es herrscht ja wohl Wohnungsnot. Aber auch dafür konnte die arme, kleine Tankstelle rein gar nichts. Als ich vor etlichen Jahren mein erstes Tankstellen-Buch schrieb, nannte mich ein Kollege von der „Tankstellen-Zeitung“ des Pächterverbandes einen „Spätestromantiker“. Der bin ich geblieben. Rettet die letzten Bonner Vorstadttankstellen!          bp

Abbildungen aus: Tankstellen die Benzingeschichte, Berlin 1982, und Super oder Normal. Tankstellen. Geschichte eines modernen Mythos, Köln 1996

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